Schritt für Schritt in die Freiheit
Für mich war Freiheit lange Zeit ein Wort, das vom Gefühl her nichts mit meinem Leben zu tun hat. Freiheit war nach meiner Definition etwas Absolutes, etwas für Aussteiger. So typische Gedanken: „Wenn die Kinder dann mal groß sind, kann ich mir das ermöglichen, selbstbestimmt unterwegs zu sein, dann bin ich frei zu tun, zu denken und zu handeln, wie ich mag.“ Das war für mich Freiheit - weit weg. Das Leben war bis dahin für mich oftmals eine Last mit vielen Abhängigkeiten und fremdbestimmt. Eher ein Warten auf später als ein freudiges Genießen des Moments.
Dass Freiheit etwas ist, was ganz tief innen drinnen passiert in mir, was erstmal nichts mit dem Außen zu tun hat, kam mir seit einiger Zeit immer mehr in den Sinn. Aber ich spürte bislang den Zugang nicht. Ich habe keine Idee gehabt, wie es sich anfühlt.
Als eine Frau, die sehr stark davon bestimmt ist, was andere von ihr denken und für die Schuld unbewusst eine omnipräsente Handlungsmotivation ist, war mein Tun stets daran ausgerichtet, möglichst von allen geliebt zu werden, das zu tun, was andere scheinbar (nach meinem persönlichen Film) von mir erwarten. Ein Erfolgsrezept? Sicherlich nicht. Erstens kann ich es eh nicht allen recht machen und selbst, wenn alle zufrieden wären - sagen wir mal, es wäre mir tatsächlich gelungen -, hätte ich mich selbst dann vergessen. Wie oft habe ich Urlaube im Kopf geplant, Kurztrips nach Italien übers Wochenende, die ich nicht umgesetzt habe? Es hat mir keiner dazwischen gefunkt außer ich mir selbst, weil ich meinte, es ginge nicht ohne mich ... ;-). Jetzt, die letzten Tage, hat sich in mir ein Gefühl der Freiheit „eingeschlichen“ und „breit gemacht“ in mehreren Stufen, die ich hier mal erläutern mag.
Meine Stufen in die Freiheit
1. Die eigenen Bedürfnisse erkennen, annehmen und integrieren
Das bedeutet eigenverantwortliches Handeln, gute Vorbereitung, z.B. wenn ich in den Urlaub fahren will, und auch, andere mit einzubeziehen. Es bedeutet auch, zu sich und zu seinen Bedürfnissen zu stehen und es anderen zuzutrauen und auch in einem gewissen Rahmen zuzumuten, dass es ohne mich gut läuft, und nicht aus Angst, zur Last zu fallen oder aus Schuldgefühlen, die eigenen Bedürfnisse zu übergehen. Wenn ich zu mir stehe, bin ich selbst im erhöhten Maße bereit, auch bei anderen „Ja“ zu sagen, wenn sie Unterstützung brauchen oder ich einspringen soll. Denn dann bin ich nicht im Mangel, sondern in der Fülle. Frei-giebig!
2. "Was andere von mir denken, ist nicht meine Angelegenheit"
Vor ein paar Wochen hörte ich in einem Online-Satsang von Mooji einen Satz, der mich seitdem begleitet: „Was andere von mir denken, ist nicht meine Angelegenheit.“
Klingt erstmal hart, hat mich geschockt, so dass ich ihn mir notieren musste. Jetzt hängt er bei mir gut sichtbar am Spiegel, weil er genau das Gegenteil ist von dem, wie ich erzogen wurde und mit welcher Einstellung ich bisher mein Leben gelebt habe. „Sandra, das tut man nicht!“ oder auch „Das gehört sich nicht!“ sind wohlbekannte Leitsätze aus meiner Kindheit. Diese gingen soweit, dass sie auch im Hinblick auf erwachsene Geburtstagskinder im Bekanntenkreis meiner Eltern eingesetzt wurden, die es sich tatsächlich erlaubten, an ihrem Geburtstag für Gratulanten nicht zwölf Stunden erreichbar zu sein - was meine Eltern echt in Stress versetzte, die verzweifelt versuchten, in mehreren Anrufen ihre Geburtstagsglückwünsche rechtzeitig loszuwerden.
Die Erkenntnis, dass ich gar nicht so viel Einfluss darauf habe, was andere von mir denken, kam erst sehr spät. Damit bekanntgemacht hat mich meine Scheidung und die vorhergehende Trennung von meinem Exmann. In deren Verlauf sah ich mich doch einiger Urteile aus meiner Umgebung ausgesetzt. Diese gingen sogar soweit, dass mich Nachbarn auf der Straße „stellten“ oder ich vom 14-jährigen Sohn einer Nachbarin verfolgt wurde, um mich zu erklären, warum ich meinen Mann verlassen hatte. Da war das erste Mal die Erkenntnis: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Wobei ungeniert bei mir nicht wirklich zutraf, es war eher ein Abfinden damit, dass ich nunmehr ein „gefallener Engel“ war. Ich sah mich solchen Sprüchen ausgesetzt wie: „Wir haben Euch immer für das Traumpaar gehalten. Wenn Ihr das nicht schafft, wer soll es dann schaffen?“ oder auch: „Man baut sein Glück nicht auf dem Unglück anderer auf!“ Ich sollte es wohl für andere richten, spiegelte ihnen womöglich das eigene Scheinglück, das wollte natürlich keiner. Ich ging tatsächlich kurzzeitig zurück, um meinen Schuldgefühlen zu entgehen, aber es klappte nicht und so „brach“ ich nach ein paar Tagen endgültig aus. Natürlich mit jeder Menge Schuldgefühle im Gepäck - vor allem gegenüber meinen Kindern. Dass ich die „heile Familie“ zerstört hatte für eine Affäre, meine scheinbare Freiheit etc.
3. Schuldgefühle und ihre Muster erkennen
Schuldgefühle sind wohl die machtvollste Art der Selbstgeißelung. Wahnsinn, wo das überall mit reinspielt, das fasziniert mich immer wieder. Wie tief das geht und in welche Ecken es reicht…. Vor ein paar Tagen erkannte ich, dass ich mit Schuld viel leichter leben kann, wenn ich sie mit jemandem teilen kann. Von daher ganz klar ein Muster, das mir auffiel, andere Leute an meiner Schuld zu beteiligen. „Ja, das habe ich gemacht, aber wenn der oder die das nicht im Vorfeld schon so blöd eingetütet hätte, dann wäre das ja gar nicht passiert.“ Oder auch der beliebte Satz: „Das machst Du doch genauso.“ Geht übrigens auch in die andere Richtung, für Dinge, die jemand anders verbockt hat. Mitschuld übernehmen, sich solidarisch zeigen, damit derjenige nicht allein dasteht. Evtl. auch ein Mittel, um geliebt zu werden…? Scheint so…😉
4. Achtung, Angriff! ... bewusst die eigenen Angriffs- und Verteidigungsmechanismen hinterfragen
Und ganz toll die Verteidigungs-, Ausreden- und verdeckte Angriffs-Arie. Da bin ich eine Meisterin, die ihresgleichen sucht. Auch deshalb top-motiviert, weil ich Schuldgefühle nicht aushalten kann. Die ziehen mich zu Boden, fühle mich aber eben gleich schuldig und kann Fehler nicht aushalten, schon gar nicht, wenn ich es alleine verbockt habe und alle anderen auf der „anderen (guten) Seite“ stehen. Dahinter steckt die Angst, allein zu sein mit der Schuld und auch die Angst, minderwertig und nicht gut genug zu sein, um dazu zu gehören. Die Angst vor Trennung, die genau das bewirkt – Trennung.
5. Den inneren Antreiber wahrnehmen und annehmen
Ein grundlegendes Muster von mir, was dieser Tage noch deutlicher zum Vorschein kam und sich dann ins Licht wagte, ist, dass ich auf alles, was jemand sagt, tut oder wahrnimmt sofort eine Reaktion zeigen muss. Mit „muss“ meine ich tatsächlich muss. Denn es ist ein Automatikprogramm, losgelöst von jeglicher Kontrolle - ohne Hirn, ohne vorher rein zu spüren. Manchmal einfach nebensächlich, jedoch bei scheinbaren Angriffen oder Provokationen wird von mir sofort schweres Geschütz aufgefahren, bereit für einen Bürgerkrieg innerhalb von Sekunden ohne nachzudenken. Hinterher dann ein Schlachtfeld und Bedauern, Tränen und Scham. Wahnsinn und manchmal eben echt auch peinlich! Jeder Köder, den mir jemand hinschmiss, egal ob er passte oder nicht, war sofort meiner, schwups - hing ich am Haken.
Hier im Jonathan bin ich Gott sei Dank mit Menschen gesegnet, die mir genau das sowas von deutlich spiegeln, dass es eine wahre Freude ist und ich es erkennen kann und lernen, diesen Teil anzunehmen…. 😊. Jahrelang vorher habe ich gar nicht mitbekommen, was ich da eigentlich tue und war dann so manches Mal verwundert über die Reaktionen meiner Mitmenschen.
6. Grenzen ziehen - "Mein Tanzbereich, dein Tanzbereich."
Damit in Zusammenhang die tiefere Erkenntnis dieser Tage: „Ich muss nicht alles verstehen, was jemand sagt, tut oder wahrnimmt. Ich muss es auch nicht kommentieren.“ Ich kann es hören und es bei ihm lassen. Ich kann es auch ein Stück zu mir nehmen, prüfen: ist es meins, was hat das mit mir zu tun? Es untersuchen, ein Stück damit gehen. Und: Ich muss gar nichts damit machen - noch nicht mal dem anderen eine wirkliche Reaktion zeigen, die über: “Ich habe Dich gehört und weiß gerade noch nicht, was ich dazu sagen soll“ oder ähnliches hinausgeht. Übrigens, eine Reaktion, die mich früher zur Weißglut gebracht hat. Da konnte ich gar nicht mit umgehen, wenn mir jemand sowas gesagt hat. Dass jemand erstmal prüft, was er mit dem macht, was ich gesagt habe, das kam ja gar nicht in die Tüte! Und was habe ich erfahren? Wow, wenn ich das so mache, dann wertschätze ich das, was der andere gesagt hat als seine Wahrnehmung - und mich wertschätze ich ebenfalls! Ich kann doch gar nicht sofort immer eine Antwort auf alles haben, muss ich auch gar nicht. Im Gegenteil: Es gibt Dinge, die eines Reifeprozesses bedürfen, den ich mir früher gar nicht zugebilligt habe. Daraus sind Zusagen und dergleichen entstanden, die ich dann nicht eingehalten habe, weil ich kein „Nein“ sagen wollte und gleichzeitig innerlich nur ein „JEIN“ dazu hatte. Meine Sofortreaktionen haben so manches wundervolle Gespräch vorzeitig beendet oder in eine andere Richtung gelenkt, dafür gesorgt, dass sich der andere nicht wirklich gehört fühlte und damit ein gemeinsames Tiefer-in-Verbindung-gehen verhindert oder zumindest erschwert. Was daraus folgte, wenn ich es erkennen konnte, waren wieder Schuld- und Minderwertig-keitsgefühle.
7. Selbst die Verantwortung für sich übernehmen
Auch wenn jemand seinen Frust loswerden möchte, vielleicht sogar aggressiv ist, muss ich es nicht zu mir nehmen. Ich kann es hören und ihm/ihr seinen/ihren Frust lassen. Die Message von ihm/ihr nehmen, er/sie wünscht sich dieses oder jenes und es für mich prüfen: "Mag ich damit was machen, ist das meine Verantwortung, damit was zu machen oder nicht?" Aber ich muss nicht sofort darauf reagieren.
Ich habe die Wahl, wie ich damit umgehen mag!
Und dann treffe ich eine Entscheidung aus Freiheit. Aus einer offenen Haltung, kann es wirken lassen, verschiedene Sichtweisen beleuchten, es worken (The Work of Byron Katie) oder walken (Walking in your shoes), darüber meditieren in der Stille oder damit spazieren gehen, was auch immer. Vielleicht kann ich sogar drüber schlafen. Die Antwort, was zu tun ist, kommt, steigt auf in mir, wenn ich ihr den Raum gebe, sich zu zeigen, auf meine innere Weisheit höre und nicht auf das Ego, das immer ganz schnell Lösungen parat haben will. Aus dieser Gelassenheit (=Loslassen, dass jetzt sofort eine Reaktion erfolgen muss) kann ich eine Entscheidung aus Liebe treffen, aus der Liebe zu mir selbst, in dem ich mir die Zeit nehme, die ich brauche, um mich in dieser Situation zu spüren, wahrzunehmen, was sich gut anfühlt, was stimmt. Und oh Wunder, meist ist es dann für den anderen auch stimmig, weil ich dann authentisch bin und klar und entsprechend liebevoll kommuniziere aus einer offenen und klaren Haltung heraus - ohne Angriff, ohne Schuldgefühle einfach mir diene und der Welt.
Und diese Wahl zu erkennen, die wir haben, wie wir die Dinge sehen können und wie wir reagieren können, dass es viele Lösungen geben kann, das ist das neue Verständnis von Freiheit, das sich gerade in mir breitmacht, das so gar nichts mit Veränderungen im Außen, mit Urlaub oder dergleichen zu tun hat. Obwohl es tatsächlich auch ermöglicht, nicht mehr nur von Urlaub ohne schlechtes Gewissen zu träumen, sondern es sich zu gönnen und es auch in die Tat umzusetzen.
Mein Fazit
Auf meinem Weg, auf dem ich da bin, Schritt für Schritt in die Freiheit hat mir die letzten Wochen „The Work of Byron Katie“ und „Die Stille im Herzen“ sehr geholfen. Mich zu spüren, den Raum von Frieden und Liebe in mir zu erreichen und mich da zu erkennen. Das ist wunderschön.
Kostenlosen Einführungsabend „Mach Dich frei mit der Kraft der 4 Fragen von The Work of Byron Katie“
Wer Interesse hat, an einem kostenlosen Einführungsabend „Mach Dich frei mit der Kraft der 4 Fragen von The Work of Byron Katie“ am 25.04.2022 oder auch dem Fortsetzungsabend (ebenfalls kostenlos) am 16.05.2022 teilzunehmen, ist herzlich eingeladen, dabei zu sein.
Termin: Beides jeweils um 19:30 Uhr im Jonathan.
Anmeldung erwünscht über Email an: info@jonathan-seminarhotel.de.
Gerne biete ich auch Coaching-Sessions an. Schreib mir einfach eine Email und wir vereinbaren gemeinsam einen Termin.
Abendveranstaltung „Stille im Herzen“
Dienstags alle 14 Tage bieten Martin und ich die Abendveranstaltung „Stille im Herzen“ an: Übungen in Urteilslosigkeit, Selbstannahme und Gewahrsein.
Termine: 26.04.,10.05.,24.05., 07.06., 21.06. (weitere Termine sind in Planung)
Anmeldung auch unter Email: info@jonathan-seminarhotel.de